Waldbesitzer muss Jagd in seinem Wald nicht dulden

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) hat im Falle des Grundstückseigentümers und Jagdgegners Günter Herrmann entschieden, dass die europäische Menschenrechtskonvention verletzt wurde. Die Große Kammer des Gerichtshofs entschied, dass mit der gesetzlichen Mitgliedschaft in der Jagdgenossenschaft das Grundrecht auf Schutz des Eigentums verletzt wurde (Herrmann gg. Deutschland, Nr. 9300/07). Das ist das Ende der Zwangsbejagung kleinerer Waldflächen in Deutschland.

Jagd aus ethischen Gründen abgelehnt

Der private Grundbesitzer Günter Herrmann ist Eigentümer von zwei Wiesengrundstücken von ca. 3,5 ha Fläche in Rheinland-Pfalz. Mit seinen relativ kleinen Wiesenflächen gehört Herrmann nach dem Bundesjagdgesetz zu einem sogenannten gemeinschaftlichen Jagdbezirk und ist automatisch Mitglied in einer Jagdgenossenschaft. Im speziellen Fall Langsur bei Trier, direkt an der Grenze zu Luxemburg.

Hätte er zusammenhängende Wald- und Wiesenflächen von mehr als 75 ha, könnte er selbst über die Bejagung innerhalb dieser Eigenjagd entscheiden. Da dem nicht der Fall ist, regelte die Gemeinde Langsur die Geschäfte des Jagdvorstandes und verpachtete die Langsurer Jagd – mitsamt den beiden Wiesen von Herrn Herrmann. Dass er die Jagd auf seinem Grund und Boden dulden solle, wollte Herr Herrmann, der die Jagd aus Gewissensgründen ablehnt, nicht akzeptieren.


Jetzt ist Günter Herrman nicht nur Tierschützer aus Überzeugung, sondern auch Jurist. Es folgt der zähe Gang durch die Instanzen:

1. Akt: Jagdbehörde weist Antrag zurück

Zunächst beantragte Herr Herrmann bei der zuständigen Jagdbehörde, der Kreisverwaltung Trier-Saarburg den Antrag die Beendigung seiner Mitgliedschaft in der Jagdgenossenschaft und auf ein Jagdverbot auf seinen Grundstücken gestellt. Die Behörde weist den Antrag zurück.

2. Akt: Verwaltungsgericht weist Antrag zurück

Das Verwaltungsgericht Trier als nächsthöhere Instanz weist den Antrag ebenfalls zurück.

3. Akt: Berufung Oberverwaltungsgericht scheitert

Nachdem Herr Herrmann vor das Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz mit Sitz in Koblenz zieht, scheitert dort seine Berufung.

Bundesverwaltungsgericht in Leipzig – Bild: Manecke, Bundesverwaltungsgericht (Deutschland) (3), CC BY-SA 3.0

4. Akt: Berufung Bundesverwaltungsgericht scheitert

Unverzagt klagt der streitbare Waldbesitzer weiter und scheitert weiter. Denn auch die Berufung vor dem Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) bleibt erfolglos. Das Bundesverwaltungsgericht ist immerhin das oberste Gericht der Bundesrepublik Deutschland in öffentlich-rechtlichen Streitigkeiten. Es hat seinen Sitz im ehemaligen Reichsgerichtsgebäude in Leipzig.

5. Akt: Verfassungsbeschwere abgelehnt

Sturkopf oder aufrechter Streiter? Herr Herrmann zieht nun vor das Bundesverfassungsgericht. Und prompt lehnt es das Bundesverfassungsgericht ab, die Verfassungsbeschwerde Herrn Herrmanns überhaupt zur Entscheidung anzunehmen (Az. 1 BvR 2084/05). In ihren Ausführungen stärken die Karlsruher Richter ausdrücklich das Bundesjagdgesetz.

Bundesjagdgesetz bestätigt: Das Bundesverfassungsgericht unterstreicht insbesondere, dass das Bundesjagdgesetz auf die Erhaltung eines den landschaftlichen und landeskulturellen Verhältnissen angepassten artenreichen und gesunden Wildtierbestandes abziele. Die verpflichtende Mitgliedschaft in der Jagdgenossenschaft sei zur Verwirklichung dieses Zwecks angemessen und notwendig und verletze weder Herrn Herrmanns Eigentumsgrundrecht noch seine Gewissens- oder Vereinigungsfreiheit.

Gleichheitssatz nicht verletzt: Auch der Gleichheitssatz sei nicht verletzt, da das Bundesjagdgesetz für alle Grundstückseigentümer gelte und Eigentümer von Grundstücken mit 75 Hektar oder mehr zwar nicht automatisch Mitglieder in einer Jagdgenossenschaft, gleichwohl aber verpflichtet seien, auf ihrem Land entweder selbst zu jagen oder die Jagd zu dulden.

6. Akt: Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte – Kleine Kammer

Als Herr Hermann selbst auf höchster deutscher Rechtssprechungs-Ebene kein Urteil in seinem Sinne erhält, gibt er nicht etwa auf. Er beweist ein gehöriges Maß an Zähigkeit und wahrscheinlich auch Dickköpfigkeit, denn nun geht er mit seinen Anwälten tatsächlich an den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg und legte dort am 12. Februar 2007 Beschwerde ein. Seine Argumentation: die Verpflichtung, die Jagd auf seinem Grundstück zu dulden verstoße

  • gegen seine Rechte nach Artikel 1 Protokoll Nr. 1 zur Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) für sich genommen und in Verbindung mit Artikel 14 EMRK (Diskriminierungsverbot).
  • gegen Artikel 9 (Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit) und
  • gegen Artikel 11 (Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit) für sich genommen und in Verbindung mit Artikel 14.

Kleine Kammer weist ab: schnelle vier Jahre später erklärte die kleine Kammer, die erste Instanz des Europäischen Gerichtshofs, in ihrem Urteil vom 20. Januar 2011 die Beschwerde nach Artikel 11 für sich genommen und in Verbindung mit Artikel 14 für unzulässig und stellt keinen Verstoß gegen Artikel 1 Protokoll Nr. 1, Artikel 14 oder Artikel 9 fest.

7. Akt: die Große Kammer – juristische Endstation

Große Kammer läßt Antrag zu: Am 20. Juni 2011 wird der Fall auf Antrag Herrn Herrmanns an die große Kammer verwiesen und diese lässt zur großen Überraschung der Prozessbeobachter die Beschwerde sogar zu! Eine mündliche Verhandlung findet am 30. November 2011 statt.  Auch vor der großen Kammer wurde fast die gesamte Argumentation von Herrn Herrmann kalt abgeschmettert. Aber eben nur fast.

Frühere Urteile bestätigt: Denn hinsichtlich des Artikel 1, Protokoll Nr. 1 (Schutz des Eigentums) folgte der Gerichtshof seinen eigenen Schlussfolgerungen in zwei früheren Urteilen, die das Jagdrecht in Frankreich und Luxemburg betrafen. Im Fall „Chassagnou gegen Frankreich“ war die große Kammer bereits zu der Auffassung gelangt, dass Eigentümern kleinerer Landstücke eine unverhältnismäßige Belastung durch die Verpflichtung auferlegt wird, Dritten Jagdrechte auf ihrem Land zu übertragen, so dass diese davon in einer Weise Gebrauch machen können, die den Überzeugungen der Eigentümer zuwiderläuft. Im Fall „Schneider gegen Luxemburg“ hatte er diese Schlussfolgerungen bestätigt.

Keine jagdrechtliche Extrawurst für Deutschland

Der Gerichtshof gelangte zu der Auffassung, dass sich die Situation in Deutschland nicht substantiell von derjenigen unterschied, die er in den Fällen Chassagnou und Schneider geprüft hatte. Er sah daher keinen Grund, von seinen Schlussfolgerungen in diesen Fällen abzuweichen. Für Grundstückseigentümer stellt die Verpflichtung, die Jagd auf ihrem Land zu dulden, obwohl sie diese aus Gewissensgründen ablehnen, eine unverhältnismäßige Belastung dar. Folglich liegt eine Verletzung von Artikel 1
Protokoll Nr. 1 vor. Et voilà! Herr Herrmann hat Recht bekommen.

Zum guten Schluss entschied der Straßburger Gerichtshof, dass das Land Deutschland dem Kläger Herrmann 5.000 Euro für den erlittenen immateriellen Schaden und 3.861,91 Euro für die entstandenen Kosten zu zahlen hat.

Erdrutsch-Urteil

Für die deutschen Jagdverbände kommt die Entscheidung gegen die Zwangsbejagung einer mittleren Katastrophe gleich. „Es ist ein schwerer Schlag gegen die Jagd in Deutschland“ beklagt Kurt Alexander Michael, Präsident des Landesjagdverbandes Rheinland-Pfalz e.V. das Urteil. Das Reviersystem in Deutschland ist in seinen Grundfesten erschüttert. Wenn ein Waldbesitzer aus ethischen Gründen die Bejagung seiner Waldgrundstücke ablehnt, kann er sich zukünftig auf die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs berufen und eine Bejagung seiner Waldstücke verweigern.

Bis zu einer Umsetzung des Urteils gilt allerdings die bestehende Rechtslage fort. Insbesondere ermöglicht das Urteil aktuell noch keinen Austritt aus der Jagdgenossenschaft, da Gerichte und Verwaltung einer neuen gesetzlichen Regelung nicht vorgreifen dürfen. Jetzt schon eingehende Anträge müssen daher zurückgestellt werden.